der Lieutenant begonnen, begierig nach dem steifen Notenpapier griff, das zufällig auf dem Tische des Geheimerats lag, eine kleine Schere aus der Tasche langte, und eine Beschäftigung begann, die ihn dem Attentat des Lieutenants gänzlich entzog.
«Höre Kreisler«, begann nun der Geheimerat, – »also eine Erinnerung an Deine Knabenzeit war es, die in Deine Seele kam, und dieser Erinnerung mag ich es wohl zuschreiben, daß Du heute so mild bist, so gemütlich, – höre, mein innigstgeliebter Freund! es wurmt mich wie alle, die Dich ehren und lieben, daß ich von Deinem frühern Leben so ganz und gar nichts weiß, daß Du der leisesten Frage darüber so unfreundlich ausweichst, ja, daß Du absichtlich Schleier über die Vergangenheit wirfst, die doch zuweilen zu durchsichtig sind, um nicht durch allerlei in seltsamer Verzerrung durchschimmernde Bilder die Neugierde zu reizen. Sei offen gegen die, denen Du doch schon Dein Vertrauen schenktest.«—
Kreisler blickte den Geheimerat an mit großen Augen voll Verwunderung, wie einer, der aus dem tiefen Schlafe erwachend, eine fremde unbekannte Gestalt vor sich erblickt, und fing dann sehr ernsthaft an:
«Am Tage Johannis Chrysostomi, das heißt am vier und zwanzigsten Januar des Jahres Ein tausend siebenhundert und etzliche dazu, um die Mittagsstunde, wurde einer geboren, der hatte ein Gesicht und Hände und Füße. Der Vater aß eben Erbsensuppe, und goß sich vor Freuden einen ganzen Löffel voll über den Bart, worüber die Wöchnerin, unerachtet sie es nicht gesehen, dermaßen lachte, daß von der Erschütterung dem Lautenisten, der dem Säugling seinen neuesten Murki vorspielte, alle Saiten sprangen, und er bei der atlasnen Nachthaube seiner Großmutter schwur, was Musik betreffe, würde der kleine Hans Haase ein elender Stümper bleiben ewiglich und immerdar. Darauf wischte sich aber der Vater das Kinn rein und sprach pathetisch: ›Johannes soll er zwar heißen, jedoch kein Hase sein.‹ Der Lautenist – «
«Ich bitte Dich, Kreisler«, unterbrach der kleine Geheimrat den Kapellmeister, verfalle nicht in die verdammte Sorte von Humor, die mir, ich mags wohl sagen, den Atem versetzt! Verlange ich denn, daß Du mir eine pragmatische Selbstbiographie geben, will ich denn mehr, als daß Du mir vergönnen sollst, einige Blicke in Dein früheres Leben zu tun, ehe ich Dich kannte? – In der Tat magst du mir eine Neugierde nicht verargen, die keine andere Quelle hat, als die innigste Zuneigung recht aus dem tiefsten Herzen. Und nebenher mußt Du es Dir, da Du nun einmal seltsam genug auftrittst, gefallen lassen, daß jeder glaubt, nur das bunteste Leben, eine Reihe der fabelhaftesten Ereignisse könne die psychische Form so auskneten und bilden, wie es bei Dir geschehen«. —»O des groben Irrtums«, sprach Kreisler, indem er tief seufzte,»meine Jugendzeit gleicht einer dürren Heide ohne Blüten und Blumen, Geist und Gemüt erschlaffend im trostlosen Einerlei! -«
«Nein nein«, rief der Geheimerat,»dem ist nicht so, denn ich weiß wenigstens, daß in der Heide ein hübscher kleiner Garten steht, mit einem blühenden Apfelbaum, der mein feinstes Königspulver überduftet. Nun! ich meine, Johannes, Du rückst hervor mit der Erinnerung aus Deiner frühern Jugendzeit, die heute, wie Du erst sagtest, Deine ganze Seele befängt.«
«Ich dächte«, sprach Meister Abraham, indem er dem eben fertig gewordenen Kapuziner die Tonsur einschnitt,»ich dächte auch, Kreisler, daß Ihr in Eurer heutigen passablen Stimmung nichts Besseres tun könntet, als Euer Herz oder Euer Gemüt, oder wie Ihr sonst gerade Euer inneres Schatzkästlein nennen möget, aufschließen, und dies, jenes daraus hervorlangen. Das heißt, da Ihr nun einmal verraten, daß Ihr wider den Willen des besorgten Oheims im Regen hinausliefet und abergläubischerweise auf die Weissagungen des sterbenden Donners horchtet, so möget Ihr immer noch mehr erzählen, wie sich damals alles begab. Aber lügt nicht, Johannes, denn Ihr wißt, daß Ihr, was wenigstens die Zeit betrifft, als Ihr die ersten Hosen truget, und dann der erste Haarzopf Euch eingeflochten wurde, unter meiner Kontrolle stehet.«
Kreisler wollte etwas erwidern, aber Meister Abraham wandte sich schnell zum kleinen Geheimenrat und sprach:»Sie glauben gar nicht, Vortrefflichster, wie unser Johannes sich dem bösen Geist des Lügens ganz und gar hingibt, wenn er, wie es jedoch gar selten geschieht, von seiner frühesten Jugendzeit erzählt. Gerade wenn die Kinder noch sagen: ›Pä pä und Mä mä!‹ und mit den Fingern ins Licht fahren, gerade zu der Zeit will er schon alles beachtet, und tiefe Blicke getan haben ins menschliche Herz.«
«Ihr tut mir unrecht«, sprach Kreisler, mild lächelnd, mit sanfter Stimme,»Ihr tut mir großes Unrecht, Meister! Sollt' es mir denn möglich sein, Euch was weismachen zu wollen von frühreifem Geistesvermögen, wie es wohl eitle Gecken tun? – Und ich frage Dich, Geheimerrat, ob es Dir auch nicht widerfährt, daß oft Momente lichtvoll vor Deine Seele treten aus einer Zeit, die manche erstaunlich kluge Leute ein bloßes Vegetieren nennen und nichts statuieren wollen, als bloßen Instinkt, dessen höhere Vortrefflichkeit wir den Tieren einräumen müssen! – Ich meine, daß es damit eine eigene Bewandnis hat! – Ewig unerforschlich bleibt uns das erste Erwachen zum klaren Bewußtsein! – Wäre es möglich, daß dies mit einem Ruck geschehen könnte, ich glaube, der Schreck darüber müßte uns töten. – Wer hat nicht schon die Angst der ersten Momente im Erwachen aus tiefem Traum, bewußtlosen Schlaf empfunden, wenn er sich selbst fühlend, sich auf sich selbst besinnen mußte! – Doch, um mich nicht zu weit zu verlieren, ich meine, jeder starke psychische Eindruck in jener Entwicklungszeit läßt wohl ein Samenkorn zurück, das eben mit dem Emporsprossen des geistigen Vermögens fortgedeiht, und so lebt aller Schmerz, alle Lust jener Stunden der Morgendämmerung in uns fort, und es sind wirklich die süßen wehmutsvollen Stimmen der Lieben, die wir, als sie uns aus dem Schlafe weckten, nur im Traum zu hören glaubten, und die noch in uns forthallen! – Ich weiß aber, worauf der Meister anspielt. Auf nichts anders, als auf die Geschichte von der verstorbenen Tante, die er mir wegstreiten will, und die ich, um ihn erklecklich zu ärgern, nun gerade Dir, Geheimerat erzählen werde, wenn Du mir versprichst, mir was weniges empfindelnde Kinderei zu Gute zu halten. – Was ich Dir